Gestern war es so weit: Apple hat uns gezeigt, was sie sich unter einer Gesichtsmaske verstehen: Spatial Computing mit der Apple Vision Pro.

Nachdem das Metaverse von Facebook und Microsoft bisher noch nicht so recht durchgeschlagen hat, wagt sich auch Apple in die AR- und VR-Welten. Zu spät, mögen einige Kritiker sagen.
Nein, zur richtigen Zeit. Mit einem reiferen Konzept möchte ich entgegnen.
Um es gleich vorwegzunehmen: ich sehe keinen Grund, mir für 3500$ ein Gerät zu kaufen, das eigentlich nicht mehr kann, als all meine bereits vorhandenen Geräte auch. Ich werde es aber trotzdem tun, weil ich diese neue Welt und Benutzererfahrung entdecken möchte. AR- und VR-Welten muss man erleben, um sich eine Meinung zu bilden.
So habe ich es schon bei der Oculus von Meta gemacht – wurde aber arg enttäuscht. Nach rund 10 Minuten ist der Wow-Effekt weg und die Langeweile beginnt. Weil es keine vernünftigen Apps und keine Inhalte gibt, die mich wirklich interessieren.
Mit der Brille durch das Apple-Universum
Bei Apple wird das anders sein. Denn mit der neuen Vision Pro gelingt der Anschluss an das gesamte vorhandene Apple-Universum: Fotos, Filme, Musik und natürlich Apps. Um den Content brauche ich mich also schon mal nicht zu kümmern. Und schon nur mit den Apple-Basis-Apps kann ich problemlos einen Tag lang arbeiten. Vor allem natürlich, weil mit Safari ein richtig guter Webbrowser zur Verfügung steht, der mir alle Online-Dienste auf (unter? in?) die Brille holt.

Dabei ist das ja erst der Anfang: Entwickler haben noch fast ein Jahr Zeit, um ihre Apps anzupassen. Grosse Firmen wie Adobe und Microsoft haben da schon ihre Zusammenarbeit angekündigt. Es ist also davon auszugehen, dass der App Store beim Erscheinen der Apple Vision Pro gut bestückt sein wird.
Fokus auf Fokus
Was mir bei der Präsentation des neuen Geräts gestern aufgefallen ist: alle gezeigten Use Cases handeln von einzelnen Personen, die sehr konzentriert und fokussiert etwas machen:
- in der AR-Welt arbeiten
- (3D-)Filme schauen
- (Panorama)-Fotos betrachten
- Relax-Apps geniessen
- …
Damit kehrt Apple einen generellen Kritikpunkt an VR-Brillen ins Positive: Das (für manche beklemmende) Gefühl von Isolation wird zu einer gewollten Fokussierung: Ich ziehe mich bewusst in eine Welt zurück, in der ich mich voll auf das konzentrieren kann, was ich gerade tue. Me-Time mit Brille!
Das finde ich interessant. Gerade für die Arbeitswelt, wo Grossraumbüros oft als störend und ablenkend empfunden werden. Oder für konzentriertes Lernen. Oder auch im Zug oder Flugzeug, wo man die Aussenwelt bewusst ausblenden will. Apples Brille kann hier helfen, zumal sie die Benutzer selbst bestimmen lässt, wie gross die Isolation sein soll. Ein einfacher Dreh an der Digital Crown macht die Welt in der Brille transparenter zur Aussenwelt oder immersiver für die Nutzer:innen.
Auch die Gegenrichtung ist steuerbar. Von aussen sieht man mein Gesicht in der Brille. Zwar nur in einer digitalen Avatar-Form, aber in den Demos durchaus lebensecht. Zumindest so echt, dass die Illusion entsteht, dass der Brillenträger mit der Aussenwelt in Verbindung steht – obwohl er natürlich ein ordentliches Brett ordentlich viel Technik vor dem Kopf hat. Auf Wunsch kann man sich aber auch in die Brille zurückziehen und so der Aussenwelt signalisieren: Ich will gerade nicht gestört werden. Pfiffig.

Mit Brille in die Brille
Was mir gut gefällt: Apple hat sich (wie nicht anders zu erwarten) sehr viel überlegt, was das Design und den Bequemlichkeitsfaktor angeht. Sie sieht bequem aus. Da Apple schlauerweise die Batterie nicht in die Vision Pro einbaut, könnte das Gewicht erträglich sein, auch wenn man sich da natürlich immer noch einen ziemlichen Klopper auf die Nase setzt.
Apropos Batterie: sie wird mit Magsafe magnetisch mit der Brille verbunden und soll 2 Stunden durchhalten. Das ist jetzt nicht super viel und zeigt, wie viel Energie all die Kameras, Prozessoren und Sensoren der Brille ziehen. Pfiffigerweise kann man das ganze Ding aber auch über ein USB-Ladegerät an die Steckdose hängen. Die Mobilität ist somit dahin, die Energiezufuhr dafür konstant.
Wenn man ersten Berichten glaubt, soll das Display fantastisch sein. Das hat ja bei den bisherigen Brillen selten überzeugt. Apple wäre aber nicht Apple, wenn sie auf eine pixelfreie Darstellung Wert legen würden. Die zwei Displays der Apple Vision Pro sind quasi zwei 4K-Monitore, die man in Briefmarkengrösse vor den Augen hat. Das ist schon ziemlich beeindruckend und ich bin gespannt, wie das in der Realität daherkommt.
Ich als Brillenträger habe natürlich auch gerne vernommen, dass das Dioptrien-Problem gelöst ist. Ich kann meine Brille unter Apples Brille nicht tragen und das ist gut, weil extrem unbequem. Um die fehlende Sehschärfe auszugleichen, gibt es magnetische «Brillen-Linsen», die ich genau nach meinen Bedürfnissen in die Brille einlegen kann. Eine Brille in der Brille sozusagen. Das tönt gut und bequem, allerdings auch teuer – denn diese Linsen werden sicher noch ordentlich was dazu kosten.

Hat die Welt darauf gewartet?
Nein, wohl nicht. Aber das war in Apples Geschichte schon ab und zu so. Auf das iPhone, das iPad oder die Apple Watch hat auch niemand gewartet. Der Rest ist Geschichte.
Ich halte das Konzept der Apple Vision Pro für durchdacht und glaube, dass Apple damit tatsächlich wieder eine neue Produktkategorie schafft. Und zwar mit dem Apple Geheimrezept: irgendwie ist das Ding völlig neu, aber es kommt einem auch seltsam vertraut vor.
Keine Frage: Nutzt du sonst auch Geräte und Dienste von Apple, dann kannst du dir die Vision Pro auf die Nase setzen und loslegen. Was wir gestern in den Demos gesehen haben, ist schon beeindruckend. Nun hat Apple zusammen mit den App-Entwicklern noch fast ein Jahr Zeit, um die Sache ins Ziel zu bringen. Die Konkurrenz natürlich auch und es würde mich keineswegs wundern, wenn Samsung im Herbst auch noch so eine Brille raushaut. Das kann aber Apple egal sein, denn der Auftritt der Apple Vision Pro gestern Abend wird Impact haben und übertrifft ganz sicher alles bisher Dagewesene im AR/VR-Bereich.
Dieser Beitrag wurde zuerst am 2023-06-06T16:49:17 publiziert unter https://publishing.blog/me-time-mit-brille-apple-vision-pro/.