Die VR-Brille Oculus Go verspricht die volle Virtual Reality-Experience und ist durchaus bezahlbar. Also habe ich – investigativ wie immer für den Publishing-Blog – den Schritt gewagt!
Der Einstieg in die VR-Welt ist eigentlich ganz einfach: man organisiert sich ein Google Cardboard, legt sein Smartphone in die Kartonhalterung und startet zum Beispiel mit der Google Expeditions-App. Das Ganze ist etwas wackelig, aber für einen ersten Einblick genügt es.
Wenn man dann mehr will, dann wir die Sache schnell teuer. Eine gute VR-Brille kostete bis anhin mehrere Hundert Franken. Erst die Oculus Go, hinter der die Marketing-Kasse von Facebook steckt, macht VR erschwinglich. Ab rund 250 Franken ist man dabei. Die Brille ist schnell bestellt, wird 2 Tage später promt geliefert und macht ab dem ersten Augenblick Freude. Sie ist hochwertig verarbeitet, verhältnismässig bequem und sehr einfach in Betrieb zu nehmen. 5 Minuten später sitzt man zum ersten Mal auf einer virtuellen Achterbahn.
Im wahrsten Sinne des Wortes übrigens: Der «Epic Roller Coaster» verspricht gleich mal den ersten Adrenalin-Schub. Und ich empfehle, diesen wirklich sitzend zu geniessen. Wäre ich bei meiner ersten VR-Experience gestanden, hätts mich wortwörtlich umgehauen. Die Erfahrung ist tatsächlich beeindruckend. Selbst wenn man im bequemen Sessel sitzt, gaukelt einem das Hirn eine Fahrt vor, in der man instinktiv in die Kurven geht und es einem schnell mal ein wenig schwindlig wird.
Gut, sind die Apps im Oculus-Store nach Komfort-Stufe sortierbar. Ich Depp fange natürlich grad mit der Stufe «anspruchsvoll» an.
Also schau ich mich nach etwas gemächlicheren Apps um und tauche in die Welt der 360°-Fotos ein. Ich kann mit einem Klick auf den sehr intuitiven Controller in meiner Hand schnell an jeden beliebigen Ort der Welt reisen und mich entspannt in einen 3D-Sonnenuntergang setzen. Die Wirkung von 360°-Fotos mit der Brille ist phantastisch. Ich schaue mich um und entdecke Details in diesen Welten, die sich rund um mich herum aufbauen.
Man kann sagen: der erste Kontakt mit der VR-Welt durch die Oculus Go ist umwerfend. Man wird gar etwas süchtig und möchte gerne mehr. Und «mehr» heisst: Kreditkarte zücken. Denn auch in der VR-Welt ist nichts gratis. Ich leiste mir die eine oder andere App, die ich im gut zugänglichen Oculus-Store finde (in 3D natürlich).
Die App-Auswahl ist noch nicht wirklich gross. Nebst Achterbahnen, Unterwasserwelten und einigen Games gibts interessanterweise viele Horror-Apps. Zombies, Geister, verlassene Häuser, die es zu entdecken gilt. Das alles interessiert mich aber nicht und wird schnell langweilig. Rund die Hälfte der Apps sind ganz einfach Werbung. Autos, die man von allen Seiten betrachten kann. Filmtrailer, die man sich in einem 3D-Kino anschauen kann. Virtuelle Reiseführer, die mich etwas ratlos zurücklassen.
Schnell fühle ich mich auch allein. Die 3D-Welt nimmt mich gefangen, das ist für das Erlebnis gut. Die virtuelle Welt ist aber künstlich, leer, gefühlslos. Mir fehlen schnell Lebenszeichen von anderen. (Vielleicht funktioniert übrigens genau deshalb das Horror-Genre so gut in dieser virtuellen Welt) Zwar könnte ich mir die Netflix-App und das zugehörige Abo herunterladen und dann mit meinen Freunden zusammen in einem virtuellen Wohnzimmer TV schauen, aber ganz ehrlich: genau dafür hab ich mir die Brille nicht gekauft. Ich will nicht mit künstlichen Avataren vor der Glotze hocken. Da schalte ich mir meine Freunde aus den USA für den gemeinsamen Fernsehabend lieber über Skype oder Facetime zu.
Und dann scheitere ich an einem ganz praktischen Usability-Problem: ich möchte mich mit meinem Account in der Youtube-App anmelden. Nun ist mein Passwort aber gut gewählt und dementsprechend so komplex, dass ich es mir nicht merken kann. Ich hock jetzt also in meiner virtuellen Welt und muss ein Passwort eingeben, dass ich aus der realen Welt irgendwie in die virtuelle kopieren sollte. Geht nicht. Es gibt keine Zwischenablage, kein Copy-Paste. Sobald ich die Brille abziehe, um mir auf dem Handy die nächsten 5 Zeichen des Passworts zu merken, geht das virtuelle Eingabefeld verloren. Im Moment sehe ich nur zwei Möglichkeiten: Mein Handy muss mir das Passwort vorlesen oder ich muss die Braille-Schrift erlernen.
Nach einer Stunde habe ich erst mal genug. Draussen scheint die Sonne und mir ist das alles zu einsam. Ich werde zurückkommen und weitere virtuelle Welten entdecken. Die habe ich ja jetzt mit der Oculus Go jederzeit zur Hand. Ich werde aber nach einer Weile immer wieder sehr gerne in meine Realität zurückkehren.
Alles in allem bestätigt mich die Brille in meiner Meinung: VR mit Brille ist ein Hype. Die Zukunft muss in der Augmented Reality liegen, wo ich mit meinem Handy zusätzlich zur realen Welt einen virtuellen Layer zuschalten kann. Google und Apple zeigen momentan ihren Entwicklern, was hier möglich ist. Und ich bin mir sicher, dass da in den nächsten Jahren noch viel kommen wird.
P.S: das mit dem Youtube-Passwort hat dann doch noch geklappt und Jamie Oliver kocht bei mir jetzt auch mit Brille 🙂