Lehrpersonen sind mit den digitalen Lernmedien von Verlagen oft unzufrieden. Dafür gibt es gute Gründe. Andererseits haben auch die Verlage gute Argumente, warum sie nicht einfach PDFs auf Google Drive hochladen und Videos gratis auf Youtube zur Verfügung stellen. Die Lösung kann nur darin bestehen, dass beide Seiten mithelfen, bessere Lösungen zu finden.

Anfangs Monat bin ich auf einen Blogbeitrag von Simon gestossen. Simon unterrichtet auf Sekundarstufe. Er ist ein Quereinsteiger, der sich an der PH Zürich zur Lehrperson hat ausbilden lassen. Vorher war er im digitalen Bereich unterwegs. Klar, dass er die Leidenschaft fürs Digitale behalten hat und dass er diese nun auch in seiner Lehrtätigkeit einbringen will.

Das gelingt ihm nach eigener Aussage auch ganz gut. Auf seinem Blog https://digitalunterrichten.ch findet man viele Anregungen und (Werkzeug-)Tipps, begleitet von guten und schlechten Erfahrungen im Schulalltag.

In seinem Blogbeitrag geht Simon mit den Lehrmittelverlagen ins Gericht. Zwar begrüsst er es, dass die Verlage inzwischen vermehrt Lernmaterialien digital anbieten. Er ärgert sich aber über komplizierte Logins und unvollständige Materialien. Er ist auch nicht unbedingt zufrieden mit dem digitalen Angebot, weil es an seinen Bedürfnissen vorbei geplant ist. Und dann beschreibt Simon sein eigentliches Bedürfnis, nämlich:

sämtliche gedruckten Arbeitshefte und -blätter in wiederverwendbarem PDF-Format und zusätzliche, interaktive Webangebote als Ergänzung. Wenn ein Login unumgänglich ist, dann bitte die Logins mit Google und Office 365 nutzen.

Den ganzen Blogbeitrag kannst du hier nachlesen.

Mein Verständnis

Ich verstehe Simons Forderungen gut. In einem modernen Lehr- und Lernverständnis geht es ja darum, aus einer Vielfalt von Themen und Materialien ein individuelles Lernsetting zusammenzustellen.

Als Lehrender und Lernender möchte ich Inhalte neu portionieren, Wichtiges von Unwichtigem trennen, verschiedene Quellen zusammenfassen und das Gelernte mit meinen eigenen Gedanken kombinieren. Beim Lernen auf Prüfungen muss ich aus einer grossen Masse ein Kondensat erstellen, das ich in meinem Gehirn verankern kann. Ich möchte mein Wissen auch dokumentieren und so erhalten, dass ich es später wieder abrufen kann. Das alles geht nur, wenn ich die Lerninhalte frank und frei editieren und beliebig umbauen kann.

Ausserdem muss sichergestellt sein, dass die Lern-Materialien jederzeit und überall zugänglich sind. Komplizierte Logins sind dabei ebenso wenig förderlich wie der Umstand, dass ich zuerst in eine Bibliothek gehen muss, um an den Inhalt zu kommen.

Und schliesslich gehe ich mit Simon einig, dass ergänzend zum Grundlagenmaterial, welches man in Lehrbüchern oft findet auch zusätzliche Materialien zur Verfügung stehen sollten. Schliesslich möchte man ein Thema vertiefen, wenn es einem interessiert. Oder man braucht zusätzliches Material, um noch sattelfester zu werden, indem man noch mehr Übungen oder Aufgaben dazu löst. Oder man möchte ein Thema einfach nochmals von einer anderen Seite her betrachten, braucht also einen alternativen Zugang. Es gibt verschiedene Lerntypen und es gibt sehr individuelle Lernbedürfnisse – klar, dass man das nicht einfach mit EINEM Zugang abdecken kann.

Mein Problem

Zwar versichert Simon, dass er und seine Lehrerkollegen bei einem sinnvollen Abomodell mit den digitalen Materialien vertrauensvoll umgehen würden. Leider sind unsere Erfahrungen aus Verlagssicht anders: es wird kopiert und verteilt, was das Zeug hält. Geben wir einen Inhalt als PDF oder in einer direkt editierbaren Form raus, dann zieht er seine Runden. Das wirkt sich leider direkt auf den Absatz unserer Produkte aus und stellt somit für uns Verlage keine Option dar. Die Schweizer Verlage haben versucht, diesem Umstand mit Fairplay zu begegnen, der Erfolg der Kampagne war aber – sagen wir mal – übersichtlich. Deshalb gilt leider weiterhin: Wir müssen unsere Inhalte schützen.

By the way: Das ist nicht nur bei digitalen Materialien ein Problem. Gedruckte Materialien sind davon genauso betroffen. Die Kopiermaschinen und -budgets der Schulen erlauben sehr effizientes Verteilen von Inhalten und stehen sehr oft in direkter Konkurrenz zu den immer kleiner werdenden Lehrmittelbudgets.

Mit den Logins ist das leider auch nicht ganz so einfach. Persönlich wäre ich vorsichtig mit Login-Mechanismen, die uns von global operierenden IT-Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Zwar sind die Logins von Google & Co. einfach nutzbar und hinter den Logins warten attraktive Plattformen und Tools. Für uns als Verlag ist es aber undenkbar, mit einem dieser Konzerne eine proprietäre Bindung einzugehen. Unsere Ansprüche an Datenschutz und Datenhoheit sind zu gross.

Dann bleibt noch das Angebot an Zusatzmaterialien: Es ist das Kernanliegen eines Verlags, den Kunden möglichst viel Zusatzmaterial anzubieten. Dazu brauchen die Verlage aber Zeit und Geld. Alternative Inhalte sind mit der genau gleichen Sorgfalt zu produzieren wie die herkömmlichen Inhalte. Sie müssen erstellt, gestaltet und distribuiert werden und sie unterliegen derselben Qualitätskontrolle wie die Buchinhalte. Formate wie Infografiken, Interaktionen oder Multimedia sind tendenziell gar noch aufwändiger in der Herstellung. Parallel dazu nimmt die Bezahlbereitschaft ab.

So kommen wir nicht weiter

So wogen nun also die Argumente hin und her. Denn ich bin sicher, Simon wird meinen Ausführungen wieder mit einem Blogbeitrag kontern.

Interessanter wäre es ja, gemeinsam über Wege aus der jetzigen Situation zu sprechen. Wie müssen wir Verlage denn die Inhalte nun genau aufbereiten, damit sie zielführend bei Lehrenden und Lernenden landen. Wir möchten helfen, wissen aber noch zuwenig über die Bedürfnisse. Ich würde gerne in das Lehrsetting von Simon reinschauen und mit ihm besprechen, wie wir helfen können. Ich glaube fest daran, dass es neben PDFs und Google-Logins noch andere Lösungswege gibt.

Wir Verlage müssen aktiver, flexibler und kundennäher werden. Wir müssen unsere bisherigen Geschäftsmodelle neu denken oder uns vielleicht gar vom traditionellen Verlagsmodell abwenden. Wir müssen Wege finden, wie wir unseren Inhalt besser bewirtschaften und modularer anbieten können. Wir müssen es Lehrpersonen und SchülerInnen ermöglichen, unsere Inhalte zu customizen und individuell zusammenzustellen. Und wir müssen lernen, auch mit kleinen Budgets das bestmögliche Material anzubieten.

Andererseits wünschte ich mir, die Lehrpersonen würden auch einen Schritt auf uns Verlage zukommen. Indem sie ihre Materialien wiederum uns zur Verfügung stellen. Indem sie Urheberrechte respektieren. Indem sie die Arbeit von Autoren, Redakteuren, Gestaltern und Multimedia-Produzenten respektieren und dadurch würdigen, dass sie sie auch entschädigen.

Simon, wollen wir uns mal zusammensetzen?

By the way: In einer Woche findet der nächste Publishing-Talk in Bern statt. Konkret geht es um E-Books, nebenbei aber auch ganz fest um die Bedürfnisse von Lehrenden und Lernenden. Und um die Frage, wie Verlage diese erfüllen können.

Der Ruf nach E-Books - Publishing-Talk vom 25. Januar 2018 in der Welle 7, Bern
Schulen, Lehrer und Schüler hätten ihre Lehrmittel gerne in digitaler Form. Lehrmittelverlage tun sich aber noch schwer mit der Umsetzung. Denn ein einfaches E-Book genügt oft nicht. Wir zeigen, wie die Produktion vereinfacht werden kann und welche Hausaufgaben vorher zu erledigen sind. Weitere Infos gibt’s auf den Seiten des Publishing-Networks.

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