In den letzten Tagen hatte die Technologiebranche mal wieder mal ein paar Innovationen zu feiern. Und auch wenn das hier ein Publishingblog ist, möchte ich doch diesen Artikel schreiben. Denn ich habe ein paar Fragen. Doch der Reihe nach. Was haben wir denn da alles gesehen?
Das Origami-Smartphone von Samsung
Zunächst hat Samsung – wohl etwas unter Druck der Konkurrenz – das erste faltbare Smartphone-Tablet-Dings, also das erste Foldable präsentiert. Genaues weiss niemand nicht, das Gerät gab es auch nicht wirklich live zu bestaunen. Was man aber aus dem zugespielten Filmli weiss: Eingeklappt sieht das Ding aus wie ein früher Nokia-Klops, ausgeklappt durchaus elegant wie eine grosse schöne Glasscheibe. Kosten wird es zudem einiges.
Die Konkurrenz faltet hinterher
Aber offensichtlich ist Origami im Jahr 2019 ein Must, denn kurz darauf hat Huawei sein Mate X vorgestellt, was wiederum wesentlich ausgereifter scheint als der Ziegel von Samsung. Da läuft dem Gadget-Boy schon mal das Wasser im Munde zusammen, denn das Teil sieht auf den Postern wirklich cool aus.
Ich habe ein paar Fragen
Damit landen wir bei meinen Fragen. Zunächst und am wichtisten: wozu soll das gut sein? Was sind die Nutzungs-Szenarien? Samsung hat sich das überlegt und kam auf Google Maps: man fängt auf dem kleinen Schirm mit einer Ortssuche an und dann «faltet» man die grössere Ansicht frei. Das kann ich als Bedürfnis nachvollziehen.
Aber dann geht es los: Durch das Auffalten werden alle Bedienelemente von Google Maps dem grösseren Bildschirm angepasst und neu positioniert. Ich verliere wortwörtlich die Orientierung. Zudem hat das Gerät kein klares Oben und Unten, kein klares Hinten und Vorne mehr. Diese Orientierungslosigkeit kenne ich übrigens vom neusten iPad Pro, wo ich nie so genau weiss, wo denn jetzt die Kamera ist. Und die Anzeige auf dem Bildschirm ist gemäss Murphy eigentlich auch immer verkehrt. Mit anderen Worten: für den User wird die Handhabung so eines Geräts massiv komplexer und der Komfortgewinn im Google Maps-Szenario ist nun auch nicht wirklich ein grosser.
Eine weitere Frage: warum sollte ich mir das antun? So ein Ding braucht einen grösseren Akku, es braucht mehr Kameras und eine Unmenge an Sensoren, die ständig bemüht sind nachzuvollziehen, wie der User das Teil gerade hält und welche Funktionen jetzt aktiv sein sollen. Von den Dimensionen her sind die Teile zu gross für die Hosentasche und vor allem zu schwer. DASS man keines der Geräte bei der Vorstellung in die Hand nehmen konnte, scheint mir ein klares Indiz dafür zu sein, dass bezüglich Oberfläche und Stabilität einige Zweifel angebracht sind. Und gerade wenn man das Gerät von Huwawei anschaut: wie ist das genau mit dem Zerkratzen des Bildschirms. Immerhin ist das Display im gefalteten Zustand AUSSEN!
Alles nur ein Marketing-Hype?
Schauen wir uns ein weiteres Gerät von Oppo an. Sieht elegant aus, wenn ich das Teil einfach so auffalten kann.
Aber: ich falte das Ding (mit beiden Händen) auf und dann…. muss ich es weiterhin mit beiden Händen halten? Was passiert, wenn die eine Hand loslässt? Klappt mir das Teil dann wieder zusammen? Oder hats da eine Art Sperre im Scharnier? Wie ist es, wenn ich das Ding zu Videoschauen brauche (immerhin eine der Core-Anwendung eines grösseren Bildschirms) Ist das Display dann so stabil, dass ich das Tablet in einen Ständer stellen oder schon nur auf meinen Knien ablegen kann? Wir werden es wohl erst wissen, wenn die Teile auch wirklich in unsere Hände geraten und nicht nur mit schönen Werbebildern und per Trailer eingespielt werden.
Was brauchen wir überhaupt noch Handys?
Wir haben ja … die Hololens. Genauer gesagt, die zweite Generation dieser AR-Brille, die Microsoft grad vorgestellt hat. Pardon, bei Microsoft heisst das Ganze ja Mixed Reality und so soll die Zukunft aussehen. Handys brauchen wir dann nicht mehr, denn wir alle tragen so einen verkappten Velohelm mit Eyetracker, Sprach- und Gestenerkennung. Mit dem Helm sehen wir unsere reale Umgebung dann mit … ja, mit was eigentlich?
Schauen wir uns die Demo an:
Die Dame auf der Bühne sieht nun also Texte, die im Raum schweben. Oder Objekte, die sie mit den Händen grösser und kleiner machen und auf die Seite schieben kann. Sie sieht Programmfenster, z.B. mit Microsoft Teams, in denen sie mit den Händen scrollen kann. Danach kann die Dame vor einem animierten Windpark einen Slider betätigen und einen Button drücken. Tippen kann oder muss sie nicht, das erledigt sie über die Spracherkennung. Zum Schluss will uns die Demo noch weismachen, dass man mit dem Velohelm Klavier spielen kann. «Klavierspielen» heisst in diesem Fall auf einige zufällige Klaviertasten hauen. Mozart geht anders.
Das alles ist lustig und sieht toll aus. Aber jetzt mal ehrlich: was bringt uns das? Was kann ich jetzt mit dem Ding machen, was ich nicht schon lange mit einem simplen Computer oder einem Smartphone machen kann? Warum sollte ich virtuell Klavier spielen? Warum sollte ich eine Software in einem Windows-Fenster bedienen – mit der neusten Technologie auf dem Kopf und einer schon gut abgehangenen Bedienoberfläche vor den Augen? Das ist doch einfach sinnlos?
Nerd: 1 / Verstand: 0
Also versteht mich nicht falsch: der Nerd und Gadget-Freak in mir fängt bereits an zu sparen und kann es kaum erwarten, diese Dinge in die Hände zu kriegen. Technologisch macht das alles grossen Spass. Aber der Verstand in mir fragt sich schon ein bisschen, ob da die Innovation in die richtige Richtung geht. Sollten wir nicht eher unserer realen Welt etwas mehr Aufmerksamkeit schenken als eine künstliche zu erschaffen? Wo bleibt bei all dem technischen Gedöns die Kommunikation, das Zwischenmenschliche, das Verbindende. Und warum braucht es – nachdem sich der Smartphone-Markt langsam sättigt und die Einsicht eingekehrt ist, dass es nicht alle paar Monate ein neues ressourcenintensives Gerät braucht – jetzt wieder eine neue Gerätegeneration, die zwar irgendwie nicht mehr kann, aber alles nochmals anders macht? Der Sinn entfaltet sich mir hier irgendwie nicht.